STUDIE ZU MÖGLICHKEITEN DER
ZENTRALEN ELEKTRISCHEN DARMSTIMULATION BEI DARMTRÄGHEIT

Dr. med. Mario Bergner, Haldenwang


Die Elektrotherapie insgesamt wurde insbesondere in den westlichen Industrieländern bisher vornehmlich von der Berufsgruppe der Physiotherapeuten und Krankengymnasten angewandt und untersucht. Auch die elektrische Stimulation des Darmes findet in jedem physiotherapeutischen Lehrbuch Erwähnung. Ein Hinweis auf fundierte Studien fehlt allerdings regelmäßig. So hat der Autor dieser Studie zunächst an freiwilligen Probanden in seinem Bekanntenkreis probiert. Die elektrische Einwirkung auf die überall empfohlenen Head'schen und anderen Reflexzohnen meist fern ab des zu beeinflussenden Körperareals brachten keine reproduzierbaren Ergebnisse. Auch die Anwendung an der seitlichen vorderen Bauchwand beiderseits über den Dickdarmschenkeln, wie in der Physiotherapie empfohlen, brachte keinen zufriedenstellenden Effekt.


MEßTECHNIK:

Für die Untersuchung der Darmbeweglichkeit wurde ein hochempfindlicher 3-Kanal-Mikrofonverstärker zur Darstellung der Geräusche des Dünndarms, des Colon ascendens (aufsteigender Dickdarm, rechts) und des Colon descendens (absteigender Dickdarm, links) gebaut und mit einem computergestützten Meß- und Auswertesystem verbunden. Wie Sie in Abbildung 1 sehen können, sind die 3 (Darm-) Geräuschkurven synchron zum Aktivitätsstatus des Reizstromgerätes (4. Kurve) auf dem Monitor und im Ausdruck darstellbar.

Abbildung 1

Die in Abbildung 1 gezeigten Spannungsabläufe entsprechen genau den über das jeweilige Mikrofon aufgenommenen akustischen Zeichen der Darmaktivität. Durch die Berechnung der durchschnittlichen Effektivspannung dev des Abschnittes einer Mikrofonstromkurve zwischen den beiden Kursoren als Relativwert ist eine vergleichende Aussage über die Darmaktivität zwischen Zuständen ohne Stromeinwirkung und bei Strömen unterschiedlicher Polarisation sehr gut möglich. Für die Mikrofone über den drei Darmabschnitten sind diese Werte oberhalb des jeweiligen Kurvenabschnittes aufgetragen (138,0 --> 179,2 ; 196,5 --> 392,9 bzw. 124,5 --> 236,6). Die Werte werden vom Programm direkt aus der Spannungskurve berechnet. Diese Spannungswerte können innerhalb eines Experimentes an einem Patienten als Relativwerte ohne Maßeinheit zum Vergleich der sich verändernden Darmmotilität herangezogen werden.


THESE:

Für die Beeinflussung des vegetativen Nervensystems mit seinen Gegenspielern Sympathikus und Parasympathikus scheint der elektrische Gleichstrom (gleiche Richtung; konstant oder veränderlich) wie geschaffen. Jeder elektrische Gleichstrom, der von außen durch den Körper geführt wird, hat seinen Ursprung in einer positiv geladenen Kontaktelektrode und einer solchen mit negativer Ladung. Stets kommt es unter der Anode (+ Pol) zu einer Dämpfung und unter der Kathode (- Pol) zu einer Erregung nervöser Strukturen.
Wenn man sich also das Ziel gesetzt hat, den Darm zu stimulieren, bietet es sich geradezu an, die Anode (dämpfend) über den sympathischen Ganglien (bremsen den Darm) und die Kathode (erregend) über den parasympathischen Zentren (regen den Darm an) zu plazieren. Die Behandlung einer Diarrhoe aufgrund einer vermehrten Peristaltik wäre dann mit einer umgekehrten Polung des Stromes durchzuführen.
Wahrscheinlich sind beide Therapiekonzepte möglich.
Zur Erreichung einer Zunahme der Darmbewegung ist die Anode also über dem Sympthikus im Bereich der unteren Brustwirbelsäule (BWS) und die Kathode über der oberen Lendenwirbelsäule (LWS) zu plazieren. Da sich die Anode dadurch oben und die Kathode unten am Körper befindet und der Strom im technischen Sinne immer von der Anode zur Kathode fließt, spricht man bei dieser speziellen Anwendung von einer absteigenden Galvanisation.


ERSTE BEOBACHTUNGEN:

1. In Abbildung 2 sehen Sie die erste über ein einzelnes Mikrofon in der Nabelgegend digital aufgezeichnete Kurve. Die große Aktivität am Anfang des Meßabschnittes hat ihre Ursache in Körperbewegungen beim Niederlegen im Selbstversuch. Neben der Motilitätszunahme von relativ 5,9 auf 19,4 in der Phase der Applikation eines absteigenden galvanischen Stromes sind bei dieser Aufnahme eine Minute nach dem Einschalten und Ausschalten des Stromes Reaktionen in der Akustikkurve (*) zu sehen, die an die Pflügerschen Gesetze erinnern lassen.

Abbildung 2

Nach Ausschalten der Stimulation geht die relative Darmmotilität auf 15,1 zurück und fällt beim Einschalten eines Stromes in umgekehrter Richtung (aufsteigende Galvanisation) weiter auf 4,1 ab (Abbildung 2 unten).


2. In Abbildung 3 ist die Darmmotilitäts-Meßkurve des zweiten Selbstversuches über der Kurve des aktuellen Reizstrom-Status aufgetragen.

Abbildung 3

Während nach dem Niederlegen in der ersten Phase mit ausgeschaltetem Gerät eine sehr intensive Darmperistaltik zu beobachten war (96,1), wurde diese (auch visuell schon gut zu sehen) in der Phase mit erstmalig aufsteigend eingeschaltetem Reizstromgerät deutlich auf 56,3 gesenkt. Dieses Nachlassen der Darmaktivität hielt auch in der folgenden Phase bei ausgeschaltetem Gerät noch weiter an (Senkung auf 46,5). Wieder auch visuell gut an der Darmkurve in Abbildung 3 zu sehen ist die Darmmotilitätsveränderung während der vierten Aufzeichnungsphase. Bei hier absteigender Galvanisation kommt es erwartungsgemäß zu einer deutlichen Zunahme der Darmaktivität auf durchschnittlich 52,5, die auch während der folgenden stromlosen Zeit weiter auf 63,0 ansteigt. Die dann folgenden Veränderungen sind nur noch anhand des berechneten Motilitätsindex "durchschnittliche Effektivspannung dev" zu bestimmen. Gerade die Kurve in Abbildung 3 zeigt sehr gut, daß der Strom stets eine nachhaltige Wirkung hat.


3. Auch aus Abbildung 4 ist dieser Sachverhalt ersichtlich. Die dargestellte Kurve zeigt erstmalig die Beeinflussung der Darmmotilität eines Fremdprobanden. Dieses Mal begann der Versuch und seine Aufzeichnung, nachdem der Proband schon 15 min ruhig gelegen hatte. Abbildung 4 zeigt, daß von Minute 2 bis Minute 4 nach Meßbeginn eine (laut Postulat darmdämpfende) aufsteigende Galvanisation erfolgte und es nach 6 Minuten in der Tat zu einem rapiden Abfall der Darmmotilität kam.

Abbildung 4

Dies wurde bei der Gestaltung der letzten Phase mit einem absteigenden Strom zur Darmstimulierung berücksichtigt. Und es kam ca. 4,5 Minuten nach Beginn dieser Einwirkung zu einer deutlichen, auch visuell wahrnehmbaren, Aktivitätszunahme. Bei zeitlicher Aufspaltung der Kurve der letzten Phase in drei gleiche Teile wurde ein exponentieller Anstieg der Darmmotilität berechnet ( 7,7 --> 9,2 --> 34,3 ), der auch schon rein optisch auszumachen ist.


4. Bei den nächsten Patienten wurden dann die Darmgeräusche des Dünndarms, des aufsteigenden Dickdarms rechts (Colon ascendens CA) und des absteigenden Dickdarms links (Colon descendens CD) über drei getrennte Mikrofone abgeleitet und in getrennten Kurven dargestellt.

Jeder der drei Darmabschnitte reagierte in drei von vier Fällen erwartungsgemäß auf den Aktivitätszustandwechsel des Reizstromgerätes. So wurden über drei Darmabschnitten zusammen 12 Aktivitätszustandwechsel beobachtet und ausgewertet. In 9 von 12 Fälle (75%) kam es zu der erwarteten Reaktion.

Abbildung 5 zeigt das bekannte Fenster mit den vier Meßkanälen. In der unteren Anzeige lassen sich die Aktivitätsveränderungen der drei Darmabschnitte (DD, CA, CD) gut verfolgen. Alle Werte, die für eine erwartungsgemäße Veränderung stehen, sind hier mit einem Sternchen markiert worden.

Abbildung 5


5. Der nächste Proband war der erste Patient der Abteilung für Allgemeinchirurgie der Universität Ulm, dem glücklicherweise auch gleich geholfen werden konnte. Seine Auswertekurve kennen Sie bereits von Abbildung 1. Der Übersicht halber kommt sie in Abbildung 6 noch einmal zur Darstellung.
Der untersuchte Patient ist an Morbus Crohn erkrankt und wurde bei uns im Ileus (Darmverschluß) operiert. Da es postoperativ zu einer ausgeprägten Darmträgheit kam und alle üblichen Mittel auch am fünften Tag noch nicht zur Stuhlentleerung geführt hatten, entschlossen wir uns auf der Station, den Patienten mit dieser neuartigen Stimulationsmethode zu behandeln.
Bereits während der Aufzeichnung konnten die Zunahme der Darmaktivität aller drei untersuchten Darmabschnitte auf dem Monitor beobachten. Auch in Abbildung 6 ist der Motilitätszuwachs aller drei Darmabschnitte deutlich zu erkennen. Bei der rechnerischen Auswertung zeigte sich eine deutliche Steigerung über allen Darmabschnitten. Über dem Dünndarm stieg die Aktivität um 30% von 138,0 auf 179,2; über dem Colon ascendens (CA) um 100% von 196,5 auf 392,9 und über dem Colon descendens (CD) um 90% von 124,5 auf 236,6. Das schönste Ergebnis war aber, daß dieser Patient in der Nacht darauf drei mal erfolgreich abführen konnte.

Abbildung 6

Diese Ausführungen sollten einen kleinen Eindruck von den Möglichkeiten der elektrischen Darmstimulation bieten. Es scheint so, als würde eine Wirkung nachweisbar sein. Weitere Untersuchungen in offener Form und als randomisierte Doppeltblind-Studie sollen die vielen noch offenen Fragen beantworten.

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